5. Oktober 2022 – nach der Entscheidung zur Abbaggerung von Lützerath habe ich folgenden Brief an Bündnis90/Die Grünen geschickt…
Guten Tag zusammen,
jetzt habe ich die berühmte „Nacht drüber geschlafen“, manchmal hilft das bekanntlich. Aber jetzt geht es nicht anders, die Entscheidung ist gefallen.
Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Partei Bündnis90/Die Grünen
Der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat, war die gestrige Pressekonferenz im Wirtschaftsministerium mit Mona Neubaur, Robert Habeck und dem CEO von RWE. Offener und schamloser kann man nicht nach außen manifestieren, wer eigentlich die wichtigen Zukunftsentscheidungen in unserem Land trifft. Der Chef eines unsäglichen Konzerns und Klimazerstörers auf Augenhöhe mit den Minister*innen? Das kann ich nicht aushalten.
Zum Inhalt der Pressekonferenz: „Vorgezogener Kohleausstieg 2030“, die Minister*innen und RWE feiern sich als Klimaretter. Lützerath soll vernichtet werden.
Die taz schreibt: „Dass ausgerechnet das Dorf Lützerath weichen muss, das Symbol des Widerstands gegen den Mega-Erderhitzer Braunkohle, erscheint wie das bittere Menetekel einer klimaignoranten Politik.
Was aussieht wie ein Kompensationsgeschäft – Weiterbetrieb gegen früheren Ausstieg –, ist keins. Grüne und CDU in NRW hatten sich
bereits auf das Vorziehen des Kohleausstiegs in ihrem Koalitionsvertrag vom vergangenen Juni verständigt. Die Forderung der Grünen nach einem
vorgezogenen Kohlestopp stammt aus der Zeit vor der Energiekrise. Sie ist Teil ihrer Klimapolitik vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Jetzt so
zu tun, als käme der frühere Ausstieg, um die zusätzlichen CO2-Emissionen durch die länger laufenden Braunkohlekraftwerke auszugleichen, ist eine
unschöne Mogelei.“
Könnt Ihr Euch erinnern, zum Beispiel an vergangene Wahlkämpfe? Da haben sich viele grüne Politiker*innen in Lützerath ablichten lassen, ALLE Dörfer sollten bleiben.
Und nun, in Regierungsverantwortung?
Da wird Eckardt Heukamp im Schulterschluss mit RWE zum Bauernopfer gemacht, die Menschen, die in Lützerath für unsere Klimaziele kämpfen, werden allein gelassen. Und statt die Parteibasis mitzunehmen, mit der Partei über die Zukunft unserer Energieversorgung zu debattieren, fällt plötzlich eine unterirdische Pressekonferenz vom Himmel, wo der interessierten Öffentlichkeit der Sinneswandel der grünen Regierungsmitglieder schmackhaft gemacht werden soll.
Abgesehen von den inhaltlichen Schlüssen, die nun umgesetzt werden sollen, widert mich das Verfahren an.
Seid Ihr Euch eigentlich im Klaren darüber, dass große Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung mitgeholfen haben, dass Ihr dahin kommen konntet, wo Ihr jetzt seid? Seid Ihr Euch eigentlich bewusst, dass viele dieser Menschen große Hoffnungen in Euch gesetzt haben?
Merkt Ihr eigentlich, was Ihr anrichtet? Bei Fridays for Future, bei den Umweltverbänden, bei vielen Wissenschaftler*innen?
Die angekündigte Zerstörung von Lützerath und das Abbaggern der dortigen Kohle ist ein Schlag in die Magengrube vieler Menschen aus allen Generationen. Menschen, die seit Jahren für das Ende der wahnwitzigen Kohleverbrennung kämpfen.
Rund um die Dörfer am Tagebau Garzweiler höre ich „jetzt werden wir von dieser Partei zum zweiten Mal betrogen“. Das tut weh.
Seit mehr als acht Jahren organisiere ich mit meiner Partnerin die Wald- und Dorfspaziergänge am Hambacher Wald und rund um die Dörfer am Tagebau Garzweiler. Viele Grüne waren dabei, viele davon aus der Parteispitze, das machte sich gut in Wahlkämpfen, auf Fotos.
Und immer war ich mir mit vielen Teilnehmer*innen einig, nur die Veränderung von Mehrheiten ändert nicht die Welt. Aber die Chancen auf Veränderung, das war meine Überzeugung, werden größer mit grüner Regierungsbeteiligung. Und nun muss ich ernüchtert feststellen, dass das eine Illusion war.
Danneröder Wald, Osterholz, Lützerath… das sind ein paar Orte, die mit maßgeblicher Unterstützung von grünen Politiker*innen unwiederbringlich zerstört wurden und werden.
Wir sind mitten in der Klimakatastrophe, und ich will nicht mit ansehen, wie Stück für Stück die Lebensgrundlagen unserer Kinder und Kindeskinder aufs Spiel gesetzt werden, mit tatkräftiger Hilfe „meiner“ Partei.
Habe ich eigentlich schon die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke erwähnt?
Im Herbst also die Räumung und Zerstörung von Lützerath. Vier Jahre nach dem Tod von Steffen Meyn im Hambi. Wacht bitte auf, denkt um, riskiert nicht noch einmal schwerste Verletzungen von Menschen, die mit ihren Körpern Lützerath retten wollen. Ich werde übrigens dabei sein.
Allerdings nicht mehr als Parteimitglied.
Mit enttäuschten Grüßen
Michael Zobel
Appell an Politik, Kirchen, Gewerkschaften, Waldbewohner, RWE, Polizei… vom 10. April 2019
Michael Zobel Naturführer und Waldpädagoge Aachen, April 2019
Appell im April 2019 – Versöhnen statt spalten – Wald und alle Dörfer können bleiben
April 2019, es ist viel in Bewegung, wir stehen vor großen Veränderungen. Der Klimawandel wird immer drastischer, der UN-Generalsekretär ruft um Hilfe. Steigender Meeresspiegel, Dürren, Überschwemmungen, Tornado in der Eifel. Die „Jahrhundertereignisse“ im Monatstakt. Und was machen wir? Weiter wie gehabt? Aussitzen hilft nicht mehr. Vielleicht sind es am Ende unsere Kinder, die Schüler und Studenten, die für eine drastische Wende sorgen. Indem sie weltweit auf die Straßen gehen und für ihr Überleben und ihre Zukunft kämpfen. Unterstützt von Eltern, Lehrern, Wissenschaftlern, Künstlern. Unüberhörbar, unübersehbar. Es geht um nicht weniger als um das Überleben auf diesem Planeten. Viele Akteure sind jetzt gefragt, wir haben keine Zeit mehr. Die Erkenntnisse liegen auf dem Tisch, jetzt muss gehandelt werden, bei uns und anderswo.
Regierung und Politik
Frau Merkel, Herr Altmeyer, Frau Schulze, Herr Laschet, setzen Sie mindestens die Empfehlungen der Kohlekommission sofort um. Oder zeigen Sie der Welt, dass Sie die Zeichen der Zeit erkannt haben und gehen Sie noch über die Empfehlungen der Kommission hinaus. Greifen Sie die Sorgen vor allem der jungen Menschen auf, diese Bewegung ist nicht aufzuhalten. Herr Laschet, mit einem Rodungs-Moratorium bis 2020 ist niemandem gedient. Helfen Sie mit, einen dauerhaften Rodungsstopp durchzusetzen, setzen Sie genau dieses Zeichen, viele Menschen werden Ihnen dankbar sein.
Kirchen
Es geht um die Bewahrung der Schöpfung. Nicht nur als Lippenbekenntnis. Auch durch Taten. Entwidmen Sie keine Kirchen in den Tagebaudörfern mehr. Verkaufen Sie keine weiteren Gotteshäuser an RWE. Retten Sie die Kirchen in Manheim, Morschenich, Keyenberg, Kuckum und den anderen Dörfern an den Tagebauen. Stellen Sie sich an die Seite der Menschen, die in ihrer angestammten Heimat bleiben wollen.
Gewerkschaften
Angst ist ein denkbar schlechter Ratgeber. Der Strukturwandel ist in vollem Gange, jetzt wird er zusätzlich angeschoben mit großen Summen. Sagen Sie Ihren Mitgliedern, dass die kommenden Veränderungen eine ganz große Chance für die Braunkohlereviere sind. Schon jetzt äußern die Arbeitsagenturen, dass der Bedarf an Arbeitskräften im Revier in den kommenden Jahren kaum gedeckt werden kann. Für mich gehört zu den Aufgaben von Gewerkschaften, für zukunftsfähige und nachhaltige Beschäftigung zu arbeiten. Nehmen Sie den Beschäftigten die Sorge vor den längst überfälligen Veränderungen…
Fridays for Future
Ich setze auf die jungen Menschen. Sie nehmen das Handeln jetzt selbst in die Hände, hunderttausendfach jeden Freitag, bei uns, weltweit. Die „Profis“ hatten genug Zeit, jetzt läuft die Zeit davon. Und je größer die Restriktions-Drohungen und die Schmähungen werden, umso klarer wird, dass die jungen Leute auf dem richtigen Weg sind. Ich freue mich, für meine Kinder und meine Enkel. Zusammen mit vielen Eltern, Lehrern, Wissenschaftlern, Künstlern. Und wir bleiben dabei, in den kommenden Wochen und Monaten. Auch am 21. Juni in Aachen, mit 50000 oder mehr Menschen aus ganz Europa, unsere Stadt wird dann das Zentrum der ständig wachsenden Bewegung sein. Danke, Fridays for Future!
RWE
Ich appelliere an den Konzern. Hören Sie sofort auf, tagtäglich unumkehrbare Tatsachen zu schaffen. Hören Sie auf, den Hambacher Wald zu zerstören. Stoppen Sie die Bagger auf der oberen Sohle. Hören Sie auf mit der Zerstörung der Dörfer, niemals wird ein Braunkohlebagger Manheim oder Morschenich erreichen. Stoppen Sie die Vertreibung der Menschen aus den Dörfern. Machen Sie möglich, dass Menschen in ihrer Heimat bleiben. Helfen Sie mit, den Tagebaudörfern eine neue Zukunft zu geben. Hören Sie auf mit Ihrer unsäglichen Propaganda. Mit der Böschungslüge am Hambacher Wald. Zweimal haben Sie den Stillstand des Tagebaus Hambach beschworen. Vor Gericht. Ohne Rodungen käme das Ende des Tagebaus. Unwahr. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat Ihnen präzise vorgerechnet, dass Dörfer und Wald erhalten bleiben können, ohne die Tagebaue in den kommenden Jahren stoppen zu müssen. Hören Sie auf, Öl ins Feuer zu gießen, helfen Sie mit, eine ganze Region zu befrieden.
Waldbewohner und Waldschützer
Bekanntlich habe ich großen Respekt vor den Menschen im Wald, die seit sieben Jahren den Wald unter großem persönlichem Einsatz vor der endgültigen Vernichtung bewahrt haben. Ich verlange aber von jedem Menschen, der sich für den Erhalt des Hambacher Waldes einsetzt, dass er sehr genau überlegt, welche Handlungen dem gemeinsamen Ziel dienlich sind und welche nicht. Es gibt auf beiden Seiten Menschen, die nicht an einer friedlichen Lösung interessiert sind. Unüberlegte Handlungen werden gerne benutzt, um von jeglicher inhaltlicher Diskussion abzulenken. Und genau das brauchen wir nicht.
Polizei
Ich appelliere an den Innenminister, die unsägliche Eskalations-Rhetorik einzustellen. Sie dient nicht dem Frieden. Ich appelliere an die Polizei von NRW und darüber hinaus, sich nicht weiter für eine verfehlte Politik missbrauchen zu lassen. Aktuell wird bekannt, dass der große Räumungseinsatz im September 2018 eben doch von RWE beauftragt war, die Landesregierung NRW hat externe Gutachter beauftragt, nach Vorwänden für diesen sündhaft teuren und völlig sinnlosen Einsatz zu suchen. Ein Skandal. Baumhäuser können geräumt werden. Wieder und wieder. Aber mit diesen überflüssigen und teuren Einsätzen wird nicht ein einziges Problem gelöst. Mit jedem Ihrer Einsätze wird ein weiteres Stück des Hambacher Waldes massiv geschädigt. Es kann und darf nicht sein, dass die Polizei des Landes sich so zum Erfüllungsgehilfen eines profitorientierten Konzerns macht.
Danke für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung.
Für Rückfragen stehe ich natürlich jederzeit zur Verfügung,
mit hoffnungsvollen Grüßen,
Michael Zobel
Naturführer und Waldpädagoge aus Aachen
11. April 2015, Aachener Zeitung: Im Hambacher Forst: Wo Besetzer gegen Bagger kämpfen
14. August 2011, Aachener Nachrichten: Michael Zobel erspürt, erriecht und erfühlt den Aachener Wald